Zwischen der ukrainischen Regierung und der Ukrainischen Orthodoxen Kirche tobt ein Streit. Formell geht es um Zuständigkeiten im berühmten Kiewer Höhlenkloster. Doch dahinter schwelt ein Konflikt um die Beziehungen zu Russland.

Die Lawra ist eine der bedeutendsten historischen Stätten in der Ukraine. Das Kiewer Höhlenkloster wurde im 11. Jahrhundert gegründet. Über der Erde stehen dort zahlreiche wichtige Kirchen, außerdem Verwaltungs- und Wohngebäude. In seinen unterirdischen Gängen aber liegen die Mumien von Mönchen, die von orthodoxen Christen als Heilige verehrt werden.

Bis vor kurzem betreuten Geistliche der Ukrainischen Orthodoxen Kirche diese Höhlen. Doch das änderte sich an einem Tag im März, als eine Kommission des Kulturministeriums dort erschien. Ein Skandal, meint Metropolit Klyment, bei der Kirche zuständig für Kommunikation.

Die Kommission habe ohne Erklärung oder gerichtliche Vorlage die Tür aufgebrochen und einfach die Schlösser ausgetauscht. "Wir wissen nicht, was die Kommission dort tut, ob die Reliquien an ihrem Ort bleiben. Diese Kommission ist gekommen, wie Einbrecher kommen."

Das Kiewer Höhlenkloster wurde 1052 gegründet. Doch die Beziehungen zwischen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche und dem Staat sind belastet.

Ein Vorgehen wie in der UdSSR?

Offizielles Ziel der Kommission ist es, die Mumien in den Höhlen zu begutachten. In der Anordnung des Ministerium heißt es, sie solle ihren "historischen und wissenschaftlichen Wert" feststellen. Auf die Anfrage zu einem Interview ging das Ministerium bisher nicht ein.

Für Metropolit Klyment begeht der Staat hier ein Sakrileg. "Die Beamten kopieren hier eins zu eins Methoden aus der Sowjetunion", kritisiert er, und das löse bei den Gläubigen Sorge um das weitere Schicksal der Reliquien aus. Für das Ministerium seien das einfach museale Ausstellungsstücke, Artefakte - für Gläubige aber seien solche Begriffe "unverständlich und beleidigend".

Metropolit Klyment findet, der ukrainische Staat begehe ein Sakrileg.

Kiewer Vorwürfe und Moskaus Echo

Der Metropolit unterstellt der Regierung sogar, sie wolle die Reliquien in wertvollere und weniger wertvolle aufteilen, je nachdem, ob die längst verstorbenen Mönche auf dem Gebiet der heutigen Ukraine geboren sind - oder des heutigen Russland.

Russische Propagandamedien greifen den Streit deshalb dankbar auf. Für sie ist er Beweis dafür, wie nationalistisch die ukrainische Regierung sei.

Das aber sei eine Verdrehung der Tatsachen, meint die Kiewer Religionswissenschaftlerin Lyudmyla Fylypowytsch. Der Staat müsse nun mal wissen, was sich auf dem Gebiet der Lawra befindet, schließlich habe er dafür die Verantwortung.

Bisher hätten staatliche Stellen nur sehr beschränkt Zugang zum Kloster bekommen - und die Kirche habe die Normen der Denkmalpflege immer wieder verletzt. Mit Nationalismus habe das alles nichts zu tun, sagt Fylypowytsch.

Trennung von Moskau nach dem Angriff

Der Streit zwischen Kirche und Regierung fällt nicht vom Himmel. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche ordnete sich bis vor drei Jahren dem Patriarchen in Moskau unter. Erst mit der russischen Invasion in der Ukraine sagte sie sich von Moskau los. Denn der dortige Patriarch Kirill unterstützt den russischen Angriffskrieg.

Doch der Regierung und vielen Beobachtern geht diese Trennung nicht weit genug. Auch die Religionswissenschaftlerin Filipowitsch kritisiert, im neuen Statut der Kirche sei zwar von Russland nicht mehr die Rede. Aber dennoch vermittele es "nicht den Eindruck, dass die Kirche ihre frühere Verbindung zu Moskau irgendwie überdacht hätte". Denn es beziehe sich "überhaupt nicht auf die heutige Wirklichkeit der Ukraine. Russland kommt dort nicht mehr vor, aber die Ukraine eben auch nicht".

Daher die Zweifel, ob sich die Kirche heute wirklich als eigenständig ukrainisch versteht. Mitropolit Klyment antwortet auf solche Kritik lapidar, die Kirche habe keine administrative Verbindung zu Moskau mehr, das müsse genügen. "Der Staat hat nicht das Recht, sich in Fragen der Doktrin, der Glaubenslehre einzumischen", sagte er gegenüber tagesschau.de. Gegen die staatliche Kommission im Höhlenkloster gehe die Kirche jedenfalls gerichtlich vor, sagt Klyment.

Die Osterfeiern in diesem Jahr sind überschattet von dem Streit zwischen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche und dem Staat.

Zwei große orthodoxe Kirchen

Etwa 55 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer sind erklärte Christen orthodoxer Konfession, wie Umfragen aus diesem Jahr zeigen. Dabei konkurrieren zwei große orthodoxe Kirchen miteinander: auf der einen Seite die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die früher Moskau unterstand, und die einen Teil der Lawra gepachtet hatte; auf der anderen Seite die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU), die sich schon vor Jahren als eigenständige ukrainische Kirche gründete. Erhebungen kommen zu verschiedenen Ergebnissen über die Zahl der jeweiligen Gläubigen, weil es in der Ukraine keine formale Kirchenmitgliedschaft gibt.

Die ukrainische Regierung ging in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die UOK vor - wegen ihrer zumindest früher offiziellen Verbindung zu Moskau und weil sich, so der Vorwurf, einzelne Geistliche im russischen Angriffskrieg auf die Seite von Russland gestellt hätten. Mehr als 100 Strafverfahren gegen Geistliche sind anhängig, darunter wegen mutmaßlicher Kollaboration mit Russland oder des mutmaßlichen Verbreitens russischer Propaganda.

Wie verhält sich die UOK zum Angriffskrieg?

Metropolit Klyment widerspricht solchen Vorwürfen. Der höchststehende Metropolit Onufry habe die russische Aggression gegen die Ukraine am ersten Tag der Invasion verurteilt. Er habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgerufen, "Maßnahmen zu ergreifen, die das Blutvergießen beenden".

Auf die Frage, wie er das Verhalten des Moskauer Patriarchen Kirill einschätzt, antwortet Klyment indes diplomatisch. In den Evangelien sei genau beschrieben, wie man sich zu einer beliebigen Aggression verhalten sollte. "Aufrufe zum Krieg, zu einer Verlängerung der Aggression auch nur um einen Tag, sind eine Sünde", so Klyment.

Ein Gesetz zur Trennung

Im vergangenen Jahr verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, das von vielen Beobachtern als Verbot der UOK beschrieben wurde. Fälschlich, wie Wiktor Jelenskyj, Leiter des staatlichen Amts für ethnische Minderheiten und Glaubensfreiheit, gegenüber tagesschau.de sagte. "Dieses Gesetz ist gegen keine konkrete Kirche gerichtet", so Jelenskyj.

Tatsächlich handele es sich um ein Verbot von religiösen Organisationen, die mit der Russischen Orthodoxen Kirche verbunden sind. Diese hätten neun Monate Zeit, um diese Verbindung zu lösen, heißt es in dem Gesetz. Diese Frist läuft in wenigen Wochen ab.

Unklar ist bislang, ob es nach Ablauf der Frist zu einem Verbotsverfahren gegen die UOK kommt - und wie ukrainische Gerichte im Falle eines dann wahrscheinlichen Rechtsstreits über ein Verbot entscheiden würden.

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