Um Europas Verteidigungsfähigkeit steht es schlecht. Ohne die Unterstützung der USA könnten die europäischen Nato-Staaten und die EU-Staaten keinen militärischen Grossangriff abwehren. Für Abschreckung sorgten bisher die überragenden amerikanischen Streitkräfte.

Doch damit ist Schluss. Zwar ist der Nato-Vertrag von 1949 mit der amerikanisch-europäischen Beistandspflicht noch immer in Kraft. Doch US-Präsident Donald Trump sät Zweifel an der Bereitschaft, für Verbündete in den Krieg zu ziehen, wenn zum Beispiel Russland angreifen würde. Mehr noch: Er will die Insel Grönland dem Nato-Staat Dänemark entreissen, notfalls mit Gewalt.

Die Nato ist nicht mehr das unerschütterliche Bündnis, als das es gegründet wurde. Wie also kann sich Europa militärisch emanzipieren? Szenarien zeichnen sich ab, doch von einem echten Plan sind sie noch weit entfernt.

EU-Armee: Die Idee ist jahrzehntealt – und wird vermutlich auch in Zukunft eine Idee bleiben. Zwar ergäben die Streitkräfte der 27 EU-Staaten zusammengerechnet eine der grössten Armeen der Welt, und es gibt in der EU eine Beistandspflicht ähnlich wie jene in der Nato. Doch eine Rüstungsindustrie auf Augenhöhe mit den USA müsste erst aufgebaut werden, ebenso gemeinsame militärische Strukturen. All das nähme Jahrzehnte in Anspruch. Vor allem müsste die Frage geklärt werden, wer die Truppen befehligt. Undenkbar, dass Frankreich seine Armee mitsamt Atomwaffen der EU-Kommission unterstellt.

Koalition der Willigen: Ausgehend von der neuen europäischen Ukraine-Koalition, könnten die wichtigsten europäischen Militärmächte eine Koalition eingehen. Im Zentrum stünden die beiden Atommächte Frankreich und Grossbritannien, drumherum zum Beispiel Deutschland und Polen. Doch auch dieses Szenario ist mit vielen Unsicherheiten behaftet. Wären Frankreich und Grossbritannien wirklich bereit, ihre Atomwaffen für die Verteidigung anderer Staaten einzusetzen? Wer hätte das Kommando? Und was, wenn ein Staat ausschert – weil zum Beispiel in Frankreich eine nationalistische Regierung nicht mehr mitmachen will?

Jeder für sich: Nationalismus ist hoch im Kurs, nicht nur in den USA, und das Misstrauen zwischen den Staaten wächst, auch in Europa. Nicht ausgeschlossen, dass Nato und EU an Bedeutung verlieren und viele Staaten sich vor allem auf die eigenen Streitkräfte verlassen werden – und auf eigene Atomwaffen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sagte kürzlich, auch sein Land müsse Atomwaffen in Betracht ziehen. Klar ist aber auch: Wer militärisch völlig unabhängig sein will, muss dafür sehr, sehr viel Geld ausgeben.

Nato 2.0: Für die USA ist die Nato ein gutes Geschäft, das weiss auch Trump. Wenn Europa Hunderte von Milliarden in die Rüstung investiert, kommt es an den amerikanischen Rüstungsgiganten wie Lockheed oder RTX vorderhand nicht vorbei. Das könnte Trump dazu bewegen, in der Nato zu bleiben und vielleicht sogar ein ausdrückliches Bekenntnis zur Beistandspflicht abzulegen – falls sich die Europäer im Gegenzug verpflichten, wie verrückt Waffen «Made in USA» zu kaufen (und weitere Zugeständnisse zu machen). Nichtsdestotrotz blieben Zweifel, ob Trump mit seiner Sprunghaftigkeit und seinen Sympathien für Putin ein zuverlässiger Partner wäre.

Überhaupt wächst die Erkenntnis, dass man sich – Trump hin oder her – nicht weitere 75 Jahre auf eine Schutzmacht verlassen kann (und will), die 5000 Kilometer weit weg auf der anderen Seite eines Ozeans liegt. Doch ein europäischer Plan ist dieser Erkenntnis noch nicht entwachsen.

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