Wie umgehen mit der in Teilen rechtsextremen AfD? Darüber wird nicht erst seit Spahns Vorstoß diskutiert. Stärkt man die AfD, wenn man sie wie eine normale Partei behandelt? Oder nimmt man ihr damit die Opferinszenierung?

152 Abgeordnete hat die AfD im neuen Bundestag. Damit stellt sich für viele Politiker ganz praktisch die Frage: Wie begegnet man einem AfD-Politiker, wenn man ihm auf dem Flur begegnet? Manche Politiker grüßen AfD-Abgeordnete, andere nicht.

Das Thema "Grüßen oder nicht" scheint für AfD-Politiker eine größere Bedeutung zu haben. Immer wieder ist davon die Rede, wenn man mit ihnen über Abgeordnete anderer Parteien spricht. Doch der Umgang mit der AfD endet selbstverständlich nicht bei der Frage des Grüßens - vielleicht beginnt er dort erst.

Spätestens seitdem die AfD mit neuer Stärke in den Bundestag eingezogen ist, hat die Frage nach dem Umgang zusätzliches Gewicht bekommen. Und sie wird zunehmend zur Glaubensfrage: Bremst oder fördert das Handeln der politischen Akteure den Aufstieg einer in Teilen rechtsextremen Partei?

Dabatte druch Spahn-Äußerung verstärkt

Das zeigt sich aktuell am heftig diskutierten Vorstoß von Unionsfraktionsvize Jens Spahn, der in einem Interview mit der Bild-Zeitung gefordert hatte, Verfahren und Abläufe mit der AfD als Oppositionspartei so zu behandeln wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch - etwa ihr den Vorsitz von Ausschüssen zuzugestehen, was in der vergangenen Legislatur nicht der Fall war. Und Spahn erhielt dafür lautstarke Unterstützung aus den eigenen Reihen, etwa von dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer - mit dem Argument, dass man die AfD andernfalls stärke, weil man ihr die Opferrolle und den Märtyrerstatus ermögliche.

Aber ist das wirklich so? Macht man die AfD zum Opfer, wenn sie keinen Ausschussvorsitz bekommt - oder ist es genau andersherum und die Ausgrenzung zentraler Bestandteil einer wehrhaften Demokratie?

Opferinszenierung als Teil der Stärke

Wie so häufig lassen sich Unterstützer für beide Seiten finden. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel etwa stützt die These, dass ein Teil der Stärke der AfD auf ihrer Opferinszenierung beruht. Wenn man der AfD beispielsweise Ausschussvorsitze zugestehen würde, könnten die etablierten Parteien daraus Stärke ziehen - etwa nach dem Motto: "Seht her, obwohl ihr in Teilen rechtsextrem seid, schließen wir euch nicht aus. Ihr dürft sogar einen Ausschuss leiten." 

Ganz anders sieht das hingegen der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent. Er hält es für naiv zu glauben, man könne der AfD durch Einbindung die Opferrolle nehmen. Die Opferinszenierung sei Teil der ideologischen DNA von Populisten und Rechtsextremen: "Die Deutschen, die Männer - alle werden benachteiligt, sind Opfer der Liberalisierung durch Eliten, der Globalisierung, der Migranten und so weiter."

Die AfD werde diese Rolle immer weiterspielen, unabhängig von den tatsächlichen Umständen. Quent verweist in diesem Zusammenhang auch auf US-Präsident Donald Trump, der ein gutes Beispiel für diese Strategie sei: "Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump immer wieder betont, dass alle gegen ihn seien - obwohl er auch zu diesem Zeitpunkt der mächtigste Mann der Welt war.“

Durch Einbindung entzaubern "hat noch nie funktioniert"

Letztlich geht es auch um die grundlegende Frage, ob die Demokratie im Umgang mit Rechtspopulisten eher durch konsequente Abgrenzung oder durch die Entzauberung im politischen Alltag gestärkt wird. Der Historiker Martin Sabrow hat sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Sein Urteil ist eindeutig: Das Konzept, populistische Demagogie durch Einbindung zu entzaubern, habe noch nie wirklich funktioniert. Das liege auch daran, dass das Wählertum sehr fluide sei. Was man 1933 gewählt habe, wäre 1945 kein Kriterium der Urteilsfindung mehr gewesen: "1933 hat das sogenannte deutschnationale Zähmungskonzept - also der Versuch, die Nationalsozialisten durch die Deutschnationalen zu zähmen - nicht funktioniert. Die Radikalisierung hat alles überrollt."

Auch in der neueren politischen Geschichte kann man laut Sabrow erkennen, dass eine Entzauberung durch Einbindung oder gar Machtausübung nicht eintritt: "Wer hätte gedacht, dass Trump nach seiner ersten Amtszeit wiedergewählt werden könnte? Oder der Brexit: Auch wenn man mittlerweile erkennt, dass der Brexit nicht so erfolgreich war wie gedacht, heißt das nicht, dass man ihn einfach rückgängig machen wird." So verzeichnet die Partei "Reform UK" von Nigel Farage, einem der größten Befürworter des Brexit, zuletzt sogar steigende Umfragewerte - obwohl Farage selbst eingeräumt hat, dass der Brexit gescheitert sei. Die Schuld dafür sieht er jedoch nicht bei sich. 

Ist die Brandmauer obsolet?

Wenn man über  "Einbindung" oder "Entzauberung" spricht, kommt man unweigerlich auch bei der Frage nach der "Brandmauer" an. Obwohl der Historiker Sabrow Entzauberung durch Einbindung nicht als kluge Strategie sieht, fordert er eine "souveräne Gelassenheit" im Umgang mit der AfD. Mit Blick auf die Brandmauer müsse man flexibel je nach Gegebenheit sein - also zum Beispiel bei der Umsetzung Kommunaler Themen sich nicht abbringen lassen, weil die AfD die gleiche Position hat. Man dürfe sich gerade auf kommunaler Ebene nicht durch AfD die Agenda diktieren lassen. "Vom Handeln her denken, nicht allein von der Symbolik." 

Wenn man sich anschaue, dass Ostdeutschland fast komplett "blau" sei, dann wisse er nicht, wer dort überhaupt noch die Brandmauer aufrechterhalten wolle: "Die Brandmauer ist letztlich ein Appell an eine verlorene Zukunft."

Auch Rechtsextremismusforscher Quent räumt ein: Es gebe vielleicht keinen "guten Umgang" mit der AfD - nur einen "weniger schlechten". Besonders im ländlichen Raum Ostdeutschlands sei ein Effekt affektiver Polarisierung zu beobachten. Das heißt: "Wenn alle gegen die AfD sind, solidarisiere ich mich mit ihr."

In Westdeutschland und in den urbanen Zentren Ostdeutschlands hingegen, wo die demokratische Kultur und damit auch die Brandmauer noch funktioniere, zeige sich, dass die AfD dort im Vergleich mit anderen rechtspopulistischen Parteien - wie etwa der FPÖ in Österreich oder der Rassemblement National in Frankreich - keine besonders guten Ergebnisse erzielt. Das belege, dass die klare Abgrenzung durchaus funktioniere und wichtig wie richtig sei. 

Maßnahmen für einen "handlungsfähigen Staat"

Doch was kann populistischen Parteien wirklich den Wind aus den Segeln nehmen in einer Zeit, in der die Zukunft seltener optimistisch, sondern häufiger dystopisch gesehen wird - in der der Zuspruch zur Demokratie zurückgeht? Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang zuletzt der Begriff des "handlungsfähigen Staates". Eine Expertengruppe hatte eigens eine Liste mit Maßnahmen erstellt, die zu weniger Bürokratie, weniger Anträgen, mehr Digitalisierung und einer funktionierenden Bahn führen soll. Und die vor allem das Gefühl vertreiben soll, das sich vielerorts breitgemacht hat und den Populismus begünstigt: Dass in diesem Land nichts mehr funktioniert und sich nichts bewegt.

Einige Vorschläge haben es in den Koalitionsvertrag geschafft. Auch der Politikwissenschaftler Merkel sieht die Lösung von konkreten Problemen als wirksames Mittel gegen den Erfolg von Rechtspopulisten: Die Politik müsse effektiv arbeiten, greifbare Probleme lösen - etwa die Wirtschaft wieder ankurbeln oder Antworten auf die Migrationsfrage finden. 

Nicht nur Protestwählerschaft

Rechtspopulismusforscher Quent gibt jedoch zu bedenken, dass der Nährboden für Populismus oft auch in falschen Versprechungen der Politik liege, sei es in der Migrations-, Finanz- oder Klimapolitik. Wenn Erwartungen enttäuscht werden, führt das zu Frust - und Frust ist die Lebensader des Populismus. Jüngstes Beispiel wäre da die Kehrtwende bei der Union bei der Schuldenbremse. In Umfragen legte die AfD zu, als CDU-Chef Friedrich Merz nach der Wahl den Weg für eine Reform der Schuldenbremse freigemacht hat. 

Quent erklärt auch, dass es wichtig sei, sich ehrlich mit den Ursachen der AfD-Wählerschaft auseinanderzusetzen: "Diese Plattitüde, dass es sich nur um Protest handelt oder dass allein die Ampel-Regierung oder die Migration schuld sei, greift schlichtweg zu kurz. Die Probleme liegen tiefer." Dazu gehöre auch die Radikalisierung der Wählerschaft. Die ideologische Komponente, die bei einem relevanten Teil der AfD-Wähler vorhanden sei, müsse genauso ernst genommen werden wie die materiellen Sorgen.

Viele Ansätze also, doch auch viel Unsicherheit. Die eine klare Antwort im Umgang mit rechtspopulistischen Bewegungen gibt es wohl nicht.

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