Geheime Ausstiegsklausel für den 70-Millionen-Euro-Mann
Als der BVB im vergangenen Sommer in den Poker um Serhou Guirassy einstieg, war die Konkurrenz namhaft. Der FC Chelsea und der FC Arsenal klopften beim Stürmer an, der damals noch beim VfB Stuttgart unter Vertrag stand. Und auch der FC Bayern versuchte es, kontaktierte die Guirassy-Seite in Person von Manager Max Eberl. Die Ausstiegsklausel des Guineers in Höhe von 18 Millionen Euro war schon fast eine Einladung, den Top-Angreifer, der in der Vorsaison 28 Liga-Tore geschossen hatte, zu verpflichten.
Am Ende entschied sich Guirassy für die Borussia. Dafür musste der Revierklub jedoch eine Regel brechen. Normalerweise gibt es in Dortmund in den Spielerverträgen keine Ausstiegsklauseln. Nur in Ausnahmefällen umgehen die Bosse diesen Grundsatz. 2020 war das im Falle von Erling Haaland so, der aus Salzburg kam und 2022 für 60 Millionen Euro zu Manchester City ging. Und nun mussten sie diesen Kompromiss auch bei Guirassy eingehen.
Das Management des 29-Jahre alten Angreifers bestand darauf, dass es eine Möglichkeit gibt, dass sich Guirassy vor allem seinen Traum von der Premier League in England erfüllen kann. Nach Informationen der „Sport Bild“ gibt es in seinem Kontrakt (gültig bis 2028) eine Ausstiegsklausel, die für rund ein halbes Dutzend Vereine gilt. Es handelt sich um europäische Topklubs, zu denen unter anderem auch der FC Chelsea gehören soll. Auf der Insel weiß man um das Detail im Guirassy-Vertrag. Die Auswahl möglicher Käufer gab vor rund einem Jahr das Management des Stürmers vor. Die Bosse willigten ein – weil sie keine andere Wahl hatten.
Klub-WM als Abschiedsturnier?
Sollte ein Interessent die Klausel ziehen, profitiert der BVB immerhin aus finanzieller Sicht massiv. Dem Bericht der „Sport Bild“ zufolge beträgt die Ablösesumme – inklusive möglicher Nachzahlungen – knapp über 70 Millionen Euro. Der festgeschriebene Grundbetrag liegt knapp darunter. Für die Borussia bliebe also ein Transfer-Plus von rund 50 Millionen Euro. Eine Summe, mit der die Bosse auf dem Transfermarkt antreten könnten.
Ein weiterer Aspekt, der die Vereinbarung ein wenig erträglicher aus BVB-Sicht macht: Die Ausstiegsklausel kann erst nach der Klub-WM aktiviert werden. Das neu geschaffene Turnier, das im Juni und Juli in den USA stattfindet, wird Guirassy also auf jeden Fall noch im Dortmunder Trikot absolvieren. Die Verantwortlichen sehen das Event keinesfalls als lockeres Auslaufen der Saison, sondern als große Chance. Bis zu 100 Millionen kann der Revierklub einnehmen.
Doch wie realistisch ist ein Abgang im Sommer? Das Interesse anderer Klubs dürfte in den vergangenen Monaten kaum geringer geworden sein: Guirassy ist auch auf höchster europäischer Bühne treffsicher – und gehört zu den besten Torjägern der aktuellen Champions-League-Saison. In der Bundesliga dominiert er die klubinterne Torjäger-Liste mit 15 Saisontoren. Durchschnittlich trifft er alle 144 Minuten – ein Top-Wert.
BVB dank Guirassy nahe an der Sensation
Und beim unglücklichen Ausscheiden aus der Champions League gegen Barcelona am Dienstagabend war es vor allem Guirassy, der die Hoffnungen auf eine Sensation untermauerte. Zunächst verwandelte der pfeilschnelle Angreifer einen an Pascal Groß verursachten Foulelfmeter eiskalt zur frühen Führung (11.). Als er dann kurz nach der Pause seinen zweiten Treffer folgen ließ, war der Glaube im BVB-Lager groß, das unheilvolle 0:4 aus dem Hinspiel vor einer Woche in der katalanischen Metropole doch noch umbiegen zu können. Zumal die Dortmunder Fans im Stadion ihre Mannschaft bedingungslos nach vorn trieben.
Und wer weiß, wie der weitere Abend verlaufen wäre, hätte nicht Ramy Bensebaini mit einem unglücklichen Eigentor (54.) unfreiwillig den Stimmungskiller gemimt. Immerhin aber gelang noch Guirassy Werbung in eigener Sache auf ganz großer Bühne – er erzielte seinen dritten Treffer (76.) an diesem Abend. Mit seinen insgesamt 13 Treffern in dieser Champions-League-Saison pulverisierte er die klubinterne Torjäger-Bestmarke in der Königsklasse, die er sich zuvor mit Erling Haaland (Saison 2020/21) und Robert Lewandowski (2012/13) mit je zehn Treffern geteilt hatte. Auf 13 Tore kam zudem noch nie ein afrikanischer Spieler in der Champions League. Doch zu mehr als Anerkennung für eine starke Leistung gegen den spanischen Titelkandidaten langte es nach diesem famosen 3:1 nicht.
Nun dürfte es spannend zu beobachten sein, wie die nächsten Wochen im Liga-Alltag ausschauen werden. Denn als Achter kämpft der BVB nur noch um eine Europapokal-Teilnahme, der Traum von einer abermaligen Qualifikation für die Champions League ist angesichts von sechs Punkten Rückstand auf den Viertplatzierten der Bundesliga, RB Leipzig, fast schon ausgeträumt. Auch das könnte einen Weggang von Guirassy nach der Klub-WM befeuern.
Es wäre ein herber Verlust: Denn die Dortmunder Bosse schätzen neben der Treffsicherheit vor allem eine Fähigkeit ganz besonders: Guirassy präsentiert sich als absoluter Teamplayer, sucht immer wieder das Gespräch mit jüngeren Spielern. In der Kabine hat sein Wort Gewicht – auch, weil er mittlerweile passabel Deutsch sprechen kann.
Parallelen zu Füllkrug
Umso schmerzhafter wäre ein Abgang im Sommer. Zumal die Borussia in der Sturmspitze eher dünn besetzt ist. Um nicht zu sagen: Guirassy ist der einzige Stoßstürmer im gesamten Kader. Mit Sébastien Haller (FC Utrecht) kehrt zwar im Sommer ein klassischer „Neuner“ nach seiner Leihe zurück, doch intern planen die Verantwortlichen mit dem Ivorer kaum mehr.
Und Guirassy selbst? Der fühlt sich beim BVB sehr wohl, spürt das große Vertrauen der Verantwortlichen. Seine Ehefrau sowie seine drei Kinder sind mit ihm nach Dortmund gezogen, leben nur rund zehn Minuten entfernt vom Stadion. Aber: Der Stürmer ist extrem ambitioniert. Mit dem Anspruch, jedes Jahr in der Champions League vertreten zu sein. Nach dem 2:2 beim FC Bayern ist diese für die Borussia allerdings nur noch sehr schwer zu erreichen, es droht das erste Verpassen der Königsklasse seit der Saison 2015/16.
Es könnte also wieder Bewegung im Sturmzentrum geben. Guirassy-Vorgänger Niclas Füllkrug (West Ham United) lief ebenfalls nur eine Saison für Schwarz-Gelb auf. Er erfüllte sich dann einen großen Traum: die Premier League.
Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke