• Pazifismus kennt der Friedens- und Konfliktforscherin Corinna Hauswedell zufolge viele Spielarten.
  • In der Debatte um den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine herrsche Alarmismus, so Hauswedell.
  • Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff widerspricht: Man müsse auf einen Angriff Russlands auf Nato-Territorium vorbereitet sein.

Kriege und Konflikte prägen die Gegenwart. Ein starker Pazifismus, der sich dieser Gewalt ablehnend entgegenstellt, erscheint nötiger denn je. Doch es herrscht Uneinigkeit, wie ein solcher Pazifismus sein soll. Ist es ein Pazifismus, der strikt Frieden und Abrüstung fordert? Oder einer, der auch Aufrüstung befürwortet, um Frieden zu sichern? Die Meinungen dazu gehen auseinander.

Alarmismus aufgrund "halbgarer Bedrohungsanalysen"

Die Friedens- und Konfliktforscherin Corinna Hauswedell verweist darauf, dass der Pazifismus historisch betrachtet viele Spielarten kenne. Im Kern gehe es ihm aber um die Vermeidung beziehungsweise Beendigung von Kriegen – und zwar unter Einsatz nicht militärischer Mittel. Hauswedell sagte MDR KULTUR: "Denn Rüstung und Waffen, das sieht der Pazifismus so, töten nicht nur Menschen. Ihnen wird auch eine eskalatorische und gewaltfördernde Eigenschaft zugeschrieben."

Rüstung und Waffen, das sieht der Pazifismus so, töten nicht nur Menschen. Ihnen wird auch eine eskalatorische und gewaltfördernde Eigenschaft zugeschrieben.

Corinna HauswedellFriedens- und Konfliktforscherin

Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sei aus Sicht der Konfliktforschung "sehr viel versäumt worden", erklärte Hauswedell. "Ich denke zum Beispiel an das Verpassen von Gesprächsinitiativen, wie es sie ganz früh mal gab." Statt auf Dialog sei in erster Linie auf eine militärische Rüstung und damit auf eine Eskalation gezielt worden.

Die Hamburger Wissenschaftlerin beklagt einen Alarmismus in der Debatte und vermisst einen nüchternen Blick auf das Risiko eines direkten Angriffs Russlands auf Nato-Territorium. Die Gefahr eines solchen Angriffs werde "zum Teil auch mit halbgaren Bedrohungsanalysen" herbeigeredet.

Weitere Angriffe Russlands realistisches Szenario

Dieser Sicht widerspricht die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Frankfurt am Main. Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine müsse sich die deutsche Öffentlichkeit mit einer Bedrohung und der Reaktion darauf auseinandersetzen. "Das ist sehr verstörend, das ist beunruhigend, weil wir keine Übung darin haben." Bei manchen entstehe der Eindruck, wir bewegten uns in eine Art von Hysterie hinein, die Lage werde schlimmer geredet als sie sei – "aber das ist nicht der Fall", sagt Deitelhoff MDR KULTUR.

Eine Linie im Pazifismus (...) ist auch bereit, sich gegen einen Aggressor zu stellen.

Nicole DeitelhoffFriedens- und Konfliktforscherin

Ein möglicher Angriff Russlands auf verbündete Nato-Staaten sei realistisch. Deitelhoff sagt: "Sich auf ein schlechtes Szenario vorzubereiten, heißt nicht, es herbeizureden, sondern das heißt vor allen Dingen, dafür zu sorgen, dass es sich gar nicht realisieren kann." Dies steht nach Meinung der Friedensforscherin im Einklag mit einer pazifistischen Haltung. "Eine Linie im Pazifismus steht zwar natürlich für den unbedingten Willen zum Frieden, aber sie ist auch bereit, sich gegen einen Aggressor zu stellen. Das heißt, sie rechnet auch Kontexte mit ein."

Plädoyer für gut argumentierenden Pazifismus

Der Philosoph und Autor Daniel-Pascal Zorn weist im Gespräch mit MDR KULTUR darauf hin, dass Pazifismus stets zwischen Idealismus und Realismus changiere. Seiner Meinung nach brauche es einen "gut argumentierenden Pazifismus" als Gegengewicht gegen den Militarismus, der sich vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Kriegs bahnbreche. "Ein solcher Pazifismus ist schon deswegen wehrhaft, weil er sich nicht auf Rhetorik verlässt, sondern seine Sache argumentativ vertritt, mit Bezug auf reale Zusammenhänge."

Wenn man sich anschaut, wie manche (...) Pazifismus vertreten, dann kann man sagen: Pazifismus und Populismus sind eng miteinander verbunden.

Daniel-Pascal ZornPhilosoph und Autor

Zorn wünscht sich, dass Deutschland in seine lange pazifistische Tradition zurückfindet, anstatt sich von extremen Rändern bestimmen zu lassen. Mit der Forderung nach Frieden würde aktuell auch für falschen Inhalte mobilisiert, etwa für Verschwörungstheorien, Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus. "Wenn man sich anschaut, wie manche Pazifisten oder manche sehr laute Repräsentanten Pazifismus vertreten, dann kann man sagen: Pazifismus und Populismus sind eng miteinander verbunden."

MDR (ala)

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke